Psychodrama
Quelle: Deutscher Fachverband für Psychodrama, http://www.psychodrama-deutschland.de (14.03.2004)
Begründer des Methodensystems ist der Wiener Arzt (Psychiater, Soziologe und Philosoph) Jakob L. Moreno; er war ein Pionier der Gruppenpsychologie und der Gruppenpsychotherapie. Die grundlegende Idee, einen wesentlichen Teil der praktischen Entfaltung und der theoretischen Fundierung verdanken wir ihm. Er entwickelte die Methode als Arzt eines Flüchtlingslagers, als Leiter eines Stegreiftheaters, als Supervisor von Gefängnissen und Heimen und nicht zuletzt als Leiter eines psychiatrischen Krankenhauses.
Theoretische Begründung und methodische Einordnung
Das Psychodrama verfügt entsprechend seinem Menschenbild über eine Persönlichkeitslehre, die in den Begriffen der Rolle und des sozialen Atoms verankert ist. Menschen lernen und leben ihre Rollen in ihrem jeweiligen Bezugssystem, ihrem sozialen Atom. Ihre Persönlichkeit realisiert sich in Umfang und Qualität ihres Bezugssystems und Vielfalt und Beweglichkeit ihres Rollenrepertoires. Die Entwicklung von Rollenübernahme und deren Störung, die Bedingungen für gelingende interpersonelle Wahrnehmung wie Selbstwahrnehmung und deren Störung, die Erfahrung subjektiver Freiheitsgrade bzw. deren Einengung, Spontaneität und Angemessenheit von Handlungsvollzügen im jeweiligen situativen Kontext sind dementsprechend Gegenstand der das Psychodrama leitenden Theorie.
Beginnend mit den Arbeiten von MORENO und dessen Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse, fortgeführt mit der Tradition der großen amerikanischen Sozialpsychologen (v.a. Lewin), verbunden mit vielen Theorien und Protagonisten der humanistischen Psychologie (wie Perls) und nicht zuletzt der erst spät in den Blickpunkt gerückten systemischen Perspektive befindet sich das PSYCHODRAMA in steter Entwicklung und gegenseitigem verfahrensübergreifendem Austausch.
Das Psychodrama nimmt daher im Spektrum der Verfahren eine integrative, und in seiner Vielfalt besondere Stellung ein mit mancherlei Überschneidungen und Berührungen (v.a. mit der Tiefenpsychologie, der systemischen Familientherapie, der Gestalttherapie und verschiedenen Leib- oder Körpertherapien, aber auch mit der Verhaltenstherapie). Es gehört zu den Therapie-, Lern- und Selbsterfahrungsmethoden, die emotionale Expression in verschiedener Intensität für wichtig halten.
Es nutzt und fördert die menschliche Fähigkeit zu szenischem Spiel, zum Handeln in Rollen, zur Darstellung in Bildern und Symbolen, zu ursprünglicher und selbstbewußter Leiblichkeit. Es betont und entwickelt in seinem methodischen Vorgehen mitmenschliche Gegenseitigkeit und soziale Kompetenzen ebenso wie Autonomie und Wahlvermögen. Es bedient sich heute vielseitiger theoretischer Modelle, um die bewegliche Vielfalt menschlicher Ausdrucksformen aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und zu verstehen.
Der neueren Diskussion um die notwendige Pluralität in der Psychotherapie kommt das Psychodrama entgegen: Methodendurchlässigkeit, interpersonales Theorie- und Praxismodell, szenisches Verstehen, Ressourcen- und Lösungsorientierung, Begegnungsfähigkeit der Therapeuten und Sinnfragen sind mit der psychodramatischen Begrifflichkeit wie der therapeutischen Praxis bestens vereinbar. Dasselbe gilt für Bereiche von Pädagogik und Schule und Anwendung in Institutionen und Organisationen.
Psychodrama impliziert Wege lebendigen Lernens, bietet ausgezeichnete didaktische Möglichkeiten und fördert kommunikative und soziale Kompetenzen, nicht zuletzt Teamfähigkeit und Gemeinschaftsgefühl. Es entwickelte sich von daher auch zu einer Methode der Wahl für Supervision und Organisationsberatung.
Fokus des Verfahrens
Das personenzentrierte Psychodrama ermöglicht durch die szenische Darstellung gegenwärtiger, vergangener, zukünftiger oder phantasierter Situationen innerhalb der Gruppe, in Paaren oder in Einzelsitzungen
- die Klärung problematischer zwischenmenschlicher Beziehungen;
- das Erkennen und Beheben von Kommunikationsstörungen und dysfunktionalen Interaktionen;
- die Aufdeckung von Konfliktursachen (unter-schiedlicher Symptome) durch freie Assoziation von Szenen in der psychodramatischen Aktion;
- die Entwicklung fehlender Rollen und innerer Figuren sowie
- den Abbau bzw. die Umwandlung destruktiver Rollenmuster;
- das kathartische sowie das bewußt reflektierende Wiedererleben abgewehrter Geschehnisse und Gefühle im Spiel und ihre Integration in das gegenwärtige Erleben;
- das Erkennen und Akzeptieren von Grenzen und Bewältigung der damit verbundenen Kränkung und Frustration;
- das Einüben neuer Verhaltensweisen im Rollenspiel;
- das Entdecken und Erproben bisher ungenutzter oder unbekannter Möglichkeiten zur individuellen Entfaltung und sozialen Begegnung.
Durch die Arbeit an der "Rollenmächtigkeit" (Moreno) wird es möglich, Stärken zu fördern, Rollenfixierungen zu lösen und Freiheit zur Wahl neuer Verhaltensweisen und Kontaktformen zu schaffen.
Das gruppenzentrierte PSYCHODRAMA befaßt sich mit den dynamischen und soziometrischen Gesetzmäßigkeiten der Gruppe, den Interaktionen und Konstellationen ihrer Mitglieder im Hier und Jetzt wie mit den Ursachen, die die Produktivität und den Zusammenhalt der Gruppe behindern oder fördern können. Mit Hilfe soziometrischer Techniken wie Soziogrammen, Gruppenskulpturen und symbolischen Bildern läßt sich Klarheit gewinnen über Charakter und Intensität der jeweiligen Beziehungsgefüge und der Rolle der einzelnen darin. Eingestandene oder uneingestandene Anziehung, Distanz und Dominanz treten hervor, verborgene Gruppenthemen und kritische Untergruppengefüge werden in freien Gruppenspielen deutlich.
Das gruppenzentrierte Psychodrama wirkt in mindestens zwei Dimensionen: es befördert Kohäsion und Arbeitsfähigkeit der Gruppe und hilft gleichzeitig den Einzelnen, ihren Platz (d.h. ihre Rolle, Fuktion, Position, Status) im sozialen Gefüge einer Gruppe zu erkennen und eigenverantwortlich und unter Anleitung zu entwickeln.
Das themenzentrierte Psychodrama stellt ein für die Gruppe, Einzelne oder die Organisation bzw. den Arbeitszusammenhang wesentliches Thema in den Vordergrund, das auf vielen verschiedenen Wegen erarbeitet und variiert werden kann z.B. in Vignetten, Bildern, symbolischen Handlungen. Themenzentrierung, sei es durch direkte Erarbeitung eines Themas oder durch Verwendung z.B. eines Märchenthemas als Folie, befördert einen mehrdimensionalen Lernprozeß und bietet einen anregenden, motivierenden und gleichzeitig schützenden Rahmen.
Das SOZIODRAMA ermöglicht einen Zugang zu gesellschaftlichen Themen und Konflikten zum Beispiel im Rollen- oder Planspiel und in der "lebenden Zeitung". Der Rollentausch hilft auch hier, das eigene Handlungsspektrum und die Konfliktfähigkeit zu erweitern, durch die Erfahrung, sich in ein fremdes, manchmal feindseliges Gegenüber hineinzuversetzen und die Welt mit dessen Augen zu sehen. Es fördert die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel.
Es ermöglicht überdies, durch die Übernahme unvertrauter Rollen Zugang zu abgelehnten und Identifizierung mit bisher unzugänglichen gesellschaftlichen Institutionen und Bereichen zu schaffen und kann eine (Re-)Integration in die Gesellschaft bedeuten.
Zusammenfassung
Das Psychodrama (nach J. L. Moreno) ist in seiner Lebendigkeit und Vielfalt ein originelles, integratives Verfahren zur Förderung kreativer Lebensgestaltung. Originär in und für Gruppen entwickelt, bietet es auf der Basis eines mehrdimensionalen Verständnisses für Menschen in sozialen Systemen wirkungsvolle Konzepte für die Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien, Gruppen, Teams und Organisationen. Außerdem werden gesellschaftliche und zeitgeschichtliche Einflüsse, männliche und weibliche Rollenstereotype und Sinnfragen Thema in ihrer Bedeutung.
Einsatzmöglichkeiten
- Einzel-, Familien- und Gruppenpsychotherapie Jugend- und Drogenarbeit
- Unterrichts- und Beratungstätigkeit
- Theater- und Regiearbeit
- Supervision und Coaching
- Organisationsberatung und Personalentwicklung