Organisationskultur

Quellen:
Schreyögg, Georg, Organisation, Grundlagen moderner Organisationsgestaltung, Wiesbaden 1999
Petzold, Hilarion, Integrative Supervision, Meta-Consulting & Organisationsentwicklung, Paderborn 1998
Habermas 1985

Der Blick auf die Organisations- oder synonym Unternehmenskultur richtet sich weniger an den organisatorisch-strukturellen Aspekt, sondern mehr auf die Orientierungsmuster innerhalb der Organisation ab. Es wird der soziale Charakter organisatorischer Phänomene ins Auge gefasst. Die Organisation wird als Sinnsystem verstanden, das durch Werte, Überzeugungen und Symbole getragen wird. DerOrganisationskulturansatz hat beachtliche Popularität gewonnen. Hiernach ist jede Organisation als ein eigenständiges kulturelles System zu betrachten und organisatorische Handlungen sind nur als kulturellen Verfasstheit des Systems zu begreifen.

Manche pragmatisch oder praktisch orientierte Theoretiker würden diesen Ansatz wohl etwas überzogen oder „weit hergeholt“ betrachten, lägen da nicht Studien vor, welche die eminente Bedeutung kultureller Faktoren in der Organisation aufgezeigt und die handfesten Konsequenzen dargelegt hätten (u.a. Deal/Kennedy 1982; Peters/Waterman 1984). Es wurde deutlich, dass erfolgreiche Unternehmen sich gegenüber weniger erfolgreichen in der Art ihrer Orientierungsmuster, ihrer Unternehmskultur erheblich unterscheiden.

Der Begriff der Unternehmenskultur wurde inzwischen durch Anreicherung von verschiedensten Managementkonzepten (Qualitätszirkel, partizipativer Führungsstil, Gewinnbeteiligung, Kultursponsoring, usw.) verwässert. Im Kern geht es darum, das Unternehmen als Kultursystem zu begreifen, das eigene Werte, Symbole, Verhaltensweisen und Orientierungsmuster entwickelt, die letztlich unverwechselbar sind. Der Kulturbegriff stammt aus einem ethnologischem Verständnis und meint die historische gewachsenen Merkmale von Volksgruppen. Die Organisationsforschung überträgt diesen Ansatz auf Organisationen und hat einige Kernmerkmale festgestellt, die mit Unternehmenskultur verbunden werden:

  • Unternehmenskulturen liegen als selbstverständliche Annahmen dem täglichen Handeln zugrunde. Sie sind implizit und werden kaum reflektiert.
  • Unternehmenskulturen sind auf gemeinsame Orientierung, Werte, Handlungsmuster usw. bezogen und stellen somit ein kollektives Phänomen dar.
  • Die Organisationskultur dient als „Wegweiser“ in einer komplexen Welt und gibt Muster für die Interpretation des Erlebten vor und repräsentiert die Organisation konzeptionell.
  • Unternehmenskulturen gehen aber deutlich über Kognitionen hinaus. Kultutrell wird definiert, was geliebt oder gehasst, was ertragen oder abgelehnt werden soll. Ein wesentlicher Aspekt von Unternehmenskulturen ist ihr emotionaler Charakter.
  • Unternehmenskulturen können weder festgesetzt noch kurzfristig umdefiniert werden. Sie sind Ergebnis eines historischenLernprozesses. Was heute schlecht ist, kann morgen nicht gut sein, das muss erst die Erfahrung zeigen. Erfahrungen werden aber ständig gemacht und somit hat die Unternehmenskultur niemals ein fertiges Bild, sondern ist ständig in Bewegung.
  • Die impliziten Merkmale der Organisationskultur werden kaum bewusst gelernt. Es findet ein Sozialisationsprozess statt, im dem der Mitarbeiter hineinwächst. Dabei spielen symbolische Handlungen und Zeichensetzungen eine besondere Rolle.

Aufbau der Unternehmenskultur

Wie kann nun so ein komplexes, schwer fassbares Phänomen verstanden werden? Schein hat versucht, die verschiedenen Ebenen zu ordnen (Schein 1984) und drei Folien herausgearbeitet: Das Symbolsystem, die Normen und Standards und die Basisannahmen.

Das Symbolsystem ist durch die Symbolik die sichtbare Ebene in der Organisationskultur. Sie vermittelt neuen Mitgliedern die herrschenden Wertvorstellungen und bietet verschiedenen Identifikationsmöglichkeiten. Außerdem hat das Symbolsystem Orientierungsqualitäten, da sie durch Symbolik die Werte und Struktur be-zeichnet. Wesentlicher Aspekt im Symbolsystem ist das Erzählen von Geschichten und Legenden um wichtige Ereignisse oder Personen im Unternehmen. Ein weiterer wichtiger Aspekt sind Rituale und Riten. Dazu gehören Aufnahmeriten beim Eintritt neuer Mitarbeiter, Bekräftigungsriten, wie Ehrung von Mitarbeitern, Integrationsriten, wie Weihnachtsfeiern und Betriebsausflüge und Übergangsriten von Mitarbeitern von einer Hierachieebene in die nächste.

Zum Symbolsystem gehören auch andere sichtbare Elemente von Unternehmenskulturen, wie der persönliche Umgang, z.B. die Art der Begrüßung, die Gestaltung von Räumen und Gebäuden, die „betriebsübliche“ Kleidung, der Firmenjargon (Sprache) uvm.

Die Normen und Standards drücken sich in einer Art „Weltbild“ durch Wertvorstellungen und Verhaltensstandards aus. Es formen sich unbeschriebene Verhaltensrichtlinien, welche die Mitglieder mehr oder weniger teilen. Sie steuern das Verhalten in innerbetrieblicher Kommunikation ebenso, wo auch in kollektiver Haltung nach außen. Die Mitarbeiter der Voest Alpine prägen seit vielen Jahren ihr Selbstverständnis als „wir Voestler“ als eigene Identität und Identifizierung mit dem Unternehmen. Ein Bekannter von mir war mehrere Jahre Mitarbeiter bei Porsche/VW und erzählte bei jedem Besuch über die herausragende Qualität der Autos von VW. Er war selbstverständlich selbst VW-Besitzer und hat seine näheren Angehörigen auch im Laufe der Zeit durch Überzeugung zu VW-Besitzern gemacht. Wenige Monate, als er seinen Job wechselte und in einem Getränkekonzern einstieg, war für ihn eine neue Autoanschaffung notwendig. Er kaufte ein japanisches Auto und lobte darüber, zu welch‘ günstigen Preis er eine umfangreiche Ausstattung mitbekommen hat und außerdem gäbe es ohnehin kaum mehr „schlechte“ Automarken.

Die Basisannahmen bestehen aus Grundlegenden Orientierungs- und Verhaltensmustern, welche das Handeln leiten, ohne das darüber näher nachgedacht wird. Meist kennt man diese gar nicht. Kluckhohn/Strodtbeck (1961) ordnen diese Basisannahmen unabhängig vom Einzelfall in jeder Landeskultur in sechs Grundthemen menschlicher Existenzbewältigung:

  • Annahmen über die Umwelt: Ist die Umwelt schicksalshaft oder bewältigbar, bedrohlich, herausfordernd, ...?
  • Vorstellungen über Wahrheit: Was lässt sich als „wahr“ einordnen, was als fiktiv? Ist wahr, was der 10köpfige Ausschuss einstimmig erkennt? Welcher Informationsquelle wird welcher Wahrheitsgehalt zugesprochen, usw. Wie wird entschieden, was moralisch vertretbar oder unvertretbar ist.
  • Vorstellungen über Zeit: Wie wird mit Zeit umgegangen. Was heißt „zu spät“ gekommen. Gibt es zyklische oder chronologische Zeitrythmen im Unternehmen, usw.
  • Annahmen über die Natur des Menschen: Ist der Mensch (der Mitarbeiter) von Haus aus „gut“ oder „schlecht“. Sind Mitarbeiter entwicklungsfähig oder sind ihre Fähigkeiten nach Veranlagung festgelegt. Untersuchungen haben gezeigt, das die Basisannahmen über die Natur des Menschen im „idealen Vorgesetzen“ klar widergespiegelt werden.
  • Annahmen über die Natur des menschlichen Handelns: Kommt es darauf an, eher abzuwarten oder sich möglichst rasch anzupassen. Ist eher wichtig, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen oder eher Order auszuführen. Wie viel muss gearbeitet werden, - bis man schwitzt? Stehen oder sitzen? Ist Arbeit ohne Leid überhaupt Arbeit? Ist Erfolg „Glücksache“ oder Ergebnis von Bemühen?
  • Annahmen über die Natur zwischenmenschlicher Beziehungen: Jede Kultur entwickelt Regeln über ihre Beziehungen und deren Ordnung. Da werden Fragen nach Geschlecht, Alter, Herkunft oder Erfolg behandelt. Die Kultur zwischenmenschlicher Beziehungen in Unternehmen drückt sich zum Beispiel in Teamorientierung oder singulärem Arbeiten aus. Herrscht eher eine konkurenzorientierte Kultur oder eher eine kooperative. Muss man sich vor den anderen in acht nehmen oder kann man auf sie setzen.

Kulturtypen

Verschiedene Autoren haben versucht, Unternehmen in Kulturtypen einzuordnen. Da findet sich eine „Alles oder Nichts-Kultur“, eine „Saure Wochen, schöne Feste-Kultur“ (Deal/Kennedy 1982) als Beispiele, oder eine Typisierung nach dem Ansatz, dass die Persönlichkeit der Führungsperson mit seiner Struktur die Kultur des Unternehmens prägt. Die Typologisierung richtet sich demnach nach klassischen Persönlichkeitsstörungen. (Kets de Vries und Miller (1986)). Ohne Zweifel ist eine Typologie immer eine drastische Vereinfachung, darin liegt ihr Wert, aber eben auch ihre Gefahr.

Erfassung der Organisationkultur

Der Versuch Unternehmskulturen mit quantitativen Meßmethoden zu erfassen, stoßen auf vielfache Schwierigkeiten. Implizite Phänomene können nur auf interpretativen Weg erschlossen werden, weil sie von Außenstehende nicht objektiv erfassbar sind. Die Organisationskultur unterliegt kollektiven Mustern und auf diese muss eine Untersuchung zielen. Auch hier zeichnen sich Schwierigkeiten ab. Schon Habermas hat darauf hingewiesen, dass Phänomenologen ihre Interpretationen aus den Erfahrungen ihrer eigenen Lebenswelt erzielen. Wohl können wir phänomenologisch beschreiben, daß es generell nur Lebenswelten geben kann, die unveräußerlich sind. Aber diese abstrakte Feststellung hilft uns noch nicht über die Schranke hinweg, die eine phänomenologische Beschreibung des Aufbaus der sozialen Lebenswelt (...) trennt. In diesem Fall genügt nicht länger eine Generalisierung der eigenen Erfahrung.

Schreyögg schlägt das 3-Ebenen-Konzept von Schein als brauchbare Methode vor, weil sie analytisch erhellend ist. Interessanterweise kommt er auch auf ein prozessorientiertes Verstehen als Methode, die stark an modelle integrativer Organisation erinnern, wenn er schreibt: „Der Erschließungsprozeß beginnt bei den sichtbaren Elementen einer Kultur: den Geschichten, die erzählt werden, den Räumen und den Gebäuden, dem Jargon, dem Umgangston, der Kleidung usw."

Vergleicht man dazu das Konzept der Wahrnehmungs-Verarbeitungs-Handlungs-Spirale, befinden wir uns ebenfalls am Anfang, bei der Wahrnehmung der Phänomene. Diese geht zwar über diese objektiven Aspekte hinaus und schließt zum Beispiel „atmosphärisches Empfinden“ und andere Aspekte mit ein, der Vergleich ist jedoch verblüffend, wenn man bei Schreyögg weiterliest: „Ein genaueres Studium der Historie des Betriebes gibt den Rahmen für das Verständnis. Dokumente, teilnehmende Beobachtung an Sitzungen, Feiern usw., Einzel- und Gruppeninterviews sind die vorrangigen Quellen.“

Das erinnert an die 2 Stufe der Hermeneutischen Spirale, dem Erfassen. Schreyöggs Perspektive ist der Blickwinkel des Beobachters und Forschers, weniger des Begleiters und Beraters. Aber er setzt ganz deutlich eine explorative Phase zu Beginn, in der es gilt das Wahrgenommene zu erfassen und Material zu sammeln. Der weitere Verlauf des Prozess ist für ihn „schwer beschreibbar“. Schreyögg nennt ihn einen kreativen Prozess, aus dem Erfassten die Sinnstruktur und das Weltbild des Unternehmens zu erkennen. Ich nehme an, er sieht das als Aufgabe des Wissenschafters und weniger den kokreativen Prozess zwischen Mitarbeiter und Forscher, wie es das integrative Modell vorschlägt. Allerdings umschreibt er am Ende des Kapitels noch eindrücklich das Bild der Spirale: „Meist ist dies ein Prozeß mit mehreren Zyklen, eine stimmige Interpretation findet sich erst nach mehreren Durchläufen.“

Stärke der Unternehmenskultur

Zur Frage, wie stark oder wie schwach eine Unternehmenskultur wirkt, sind drei Aspekte bedeutend: Prägnanz, Verbreitungsgrad und Verankerungstiefe.

Starke Unternehmenskulturen zeichnen sich dadurch aus, dass sie sehr klare Vorstellungen beinhalten, was erwünscht ist und was nicht. Werte, Standards und Symbolsysteme sind möglichst eindeutig. Außerdem zeigt sich ein umfassendes Bild kultureller Orientierungsmuster, die in vielen Situationen eine passende Handlungsstrategie bieten. Diese Aspekte werden als Prägnanz der Unternehmenskultur zusammengefasst.

Der Kulturinhalt spielt hier keine Rolle. Ob die Werte „kultiviert“ oder „primitiv“ sind ist eine Frage der Unternehmensethik, die nicht mit ihrer Kultur verwechselt werden sollte.

Der Verbreitungsgrad beschreibt das Ausmaß, wieviele Organisationsmitglieder die Kultur teilen. Unternehmen mit vielen „Subkulturen“ unterschiedlicher Ausprägung können demnach keine starke Organisationskultur haben.

Mit der Verankerungstiefe ist gemeint, inwieweit kulturelle Vorgaben internalisiert sind, also zum selbstverständlichen unreflektierten Bestandteil des täglichen Handelns werden. Hier ist zwischen einem kulturkonformen Verhalten als kalkulierte Anpassung und kulturkonformen Verhalten als internalisiertes Orientierungsmuster zu unterscheiden.

Subkulturen

In komplexeren Organisationen mit verschiednen Hierachieebenen, Fachabteilungen, Teams etc. bilden sich automatisch Subkulturen heraus, deren Gesetzmäßigkeiten analog der Unternehmenskultur betrachtet werden können. Aber auch solche Unternehmen entwickeln übergreifende Orientierungsmuster, die ein Mindestmaß an Stabilität und Homogenität sichern. Subkulteren, das ist begriffsimmanent, sind Teil der „Hauptkultur“. Sie können aber durchaus in Aspekten gegen sie gerichtet sein. Organisationsmitglieder sind immer Mitglied der Hauptkultur, können aber gleichzeitig Mitglied mehrerer Subkulturen sein, was zu Loyalistätskonflikten führen kann.

Organisationsstrukturen: Abteilungsbildung, Hierachieebenen, Stab, Arbeitsprozesse, etc.

Aufgaben und professioneller Hintergrund: Wenn für einen Aufgabenbereich ein eigener professioneller Hintergrund notwendig ist, bilden sich leicht (ungewollte) Subkulturen. Die Mitarbeiter in der Datenverarbeitung oder die Mitarbeiter für die Öffentlichkeitsarbeit bilden nicht selten symbolische Gemeinschaften.

Gemeinsame Erfahrungen: gemeinsames Durchstehen einer Krise, etc.

Generationen: Nicht selten zeigt sich in Klein- und Mittelbetrieben (KMUs) das Generationenphänomen, in dem die Gruppen der Jüngeren Mitglieder sich gegen die Gruppe der älteren solidarisieren und eine Untergruppe bilden.

Subkulturen können durchaus auch auf die Hauptkultur verstärkenden Einfluss haben. Vorstandsstäbe oder Lehrwerkstätten sind oft typische Beispiele dafür. Von neutralen Subkulturen spricht man, wenn sie zwar ihr eigenes Orientierungssystem ausbilden, dieses aber nicht mit der Hauptkultur in Konflikt tritt. Sie entwickeln eine Art ergänzende Parallelkultur. Häufig zeigen zum Beispiel Rechtsabteilungen dieses Bild. Gegenkulturen bilden ein Orientierungsmuster aus, das sich dezidiert gegen die Hauptkultur richtet. Ihr Bezugspunkt ist letztlich aber auch die Hauptkultur, sonst hätte sie keine Differenzierung. Gegenkulturen müssen nicht nur störend sein, sie können durchaus belebenden erfrischenden Charakter haben. Manchmal tragen sie sogar eine Schlüsselrolle in der organisatorischen Erneuerung.

Unternehmenskultur in Korrespondenz mit anderen Kulturen

Unternehmenskulturelle und ihre subkulturellen Aspekte können umso weniger isoliert betrachtet und verstanden, als äußere Kultureinflüsse darauf unmittelbar Bezug nehmen. Als Beispiel sei hier erwähnt, das professionelle Gruppen oft zu einem Berufstand mit einem eigenen Kulturverständnis gehören (Ärzte, Steuerberater, Handwerker, etc.). Aber auch im psychosozialen Umfeld gibt es ähnliche „Standeskulturen“, vor allem überall dort, wo sich Berufsverbände gegründet haben, z.B. Sozialarbeiter, Psychotherapeuten ...

Auffallend ist auch der landeskulturelle Einfluss, wo typische japanische, U.S. amerikanische oder deutsche Unternehmenskulturen diskutiert werden.

Schreyögg kritisiert, dass in einer neuen Betrachtungsweise das Unternehmen nur ein Kreuzungspunkt verschiedenster kultureller Einflüsse (Gregory 1983; Rose 1988; Phillips 1994), z.B. Branchenkulturen, Professionskulturen, Universitätskulturen (Symbolik der Wissenschaftlichkeit), Frauenkulturen, Familienkulturen, Vereinskulturen, etc., darstellt, weil ihm dadurch einen eigenständige Kulturbildung abgesprochen wird. Er meint, es hat keine Logik, warum andere Kulturen nach diesem Gesichtspunkt nicht ebenfalls nur Kreuzungspunkte sind und keine Eigenständigkeit haben. Das kann aber nicht sein, denn ohne eigenständige Kulturen gibt es keine Verbindungslinien, weshalb er die Weiterverfolgung dieses Gedankens ablehnt.

Er reagiert an dieser Stelle meines Erachtens überempfindlich um schmettert mit geometrischer Logik eine wertvolle Anregung vom Tisch. Zweifelsohne sind alle Mitglieder eines Unternehmens Menschen, die in ihrem Lebenskontext in vielerlei Rollen und Kulturen leben. Diese Aspekte ihrer Identität können sie nicht oder jedenfalls nicht zur Gänze in den Spind hängen. Sie tragen diese Prägungen in sich und damit auch ins Unternehmen. Man muss anerkennen, dass jede Kultur von anderen (umgebenden) Kulturen beeinflusst wird, ohne dass man ihnen damit gleich die Eigenständigkeit abspricht. Was hier als Eigenständigkeit diskutiert wird, ist natürlich auch eine Frage in welchem Kontext diese konstruiert wird.

Wirkung von Unternehmenskulturen

Dass starke Unternehmenskulturen nur positive Effekte haben, ließ sich nicht nachweisen. Im Gegenteil stehen vielen Vorteilen auch ein Reihe negativer Effekte gegenüber.

Positive Effekte

  • Bessere Handlungsorientierung: Eine zentrale Funktion der Organisationskultur.
  • Reibungslosere Kommunikation: Die Abstimmungsprozesse gestalten sich durch einheitlichere Orientierung wesentlich einfacher und direkter.
  • Raschere Entscheidungsfindung: Eine gemeinsame Sprache, ein geteiltes Wertesystem usw. führen schneller zu tragfähigen Kompromissen.
  • Zügigere Implementation: Projekte, die auf gemeinsame Überzeugungen beruhen und breite Akzeptanz haben, werden schneller und kraftvoller umgesetzt.
  • Höhere Motivation und mehr Teamgeist: Die gemeinsame Verpflichtung, sich fortwährend auf die zentralen Werte des Unternehmens zu besinnen, führen zu einer kollektiven Identität und lassen eine hohe Motivation entstehen.
  • Höhere Stabilität: Ausgeprägte gemeinsame Orientierungsmuster reduzieren Angst und bringen soziale Geborgenheit und Selbstvertrauen. Die Fluktuation bleibt gering.

Negative Effekte

Die Liste der negativen Aspekte könnte man als Konservatismus zusammenfassen. Unternehmen mit einer sehr starken Unternehmenskultur, also einer hohen Internalisierung von Normen und Werte werden träge und unflexibel. Jede Veränderung ist angstbesetzt und wird abgewehrt.

  • Tendenz zur Abschließung: Tief internalisierte Wertsysteme werden konservativ und unflexibel. Kritik, Warnungen und Einflüsse, die im Widerspruch zur bestehenden Kultur stehen, werden ignoriert.
  • Abwertung neuer Orientierungen: Neue Ideen und Wertemuster werden mit Skepsis betrachtet und erfahren großen Widerstand. Vorschläge werden abgewertet und ausgegrenzt.
  • Wandelbarrieren: Selbst wenn neue Ideen eingeführt werden, ist die Umsetzung sehr mühsam und hat mit allerhand Hemmnissen zu rechnen.
  • Fixierung auf traditionelle Erfolgsmuster: „Was bis jetzt gut war, kann morgen nicht schlecht sein,“ ist die Devise. Die emotionale Bindung an traditionelle Muster (z.B. Produktionsabläufen) stellt sich gegen Neuerungen.
  • „Kulturdenken“: Starke Kulturen neigen dazu, Konformität herzustellen. Andere Meinungen, Bedenken oder gar Kritiken werden zurückgestellt zugunsten der bestehenden Werte.

Eine Zeit lang hat sich die Organisationsberatung darauf spezialisiert, die Unternehmeskulturen zu stärken. Im Blickwinkel der erkannten Nachteile war das ein zweischneidiges Schwert. „Im Hinblick auf die Flexibilität eines Systems sollte man jedoch die Blickrichtung umdrehen und die Kulturentwicklung auch als einen reflexiven Prozeß verstehen, eine allzu starke Kultur aus ihrer Verklammerung zu lösen, um Freiraum für das Neue und das Undiskutierbare zu schaffen.

Kulturwandel in Organisationen

Wie oben schon festgehalten, ist die Organisationskultur permanent in Entwicklung, in Veränderung begriffen. Der vereinfacht dargestellte Kulturwandel unterliegt einem Kreislauf der mit einer Krise beginnt. Bestehende Orientierungen werden unzuverlässig, die Werte brüchig. Es treten „Schattenkulturen“, Subkulturen oder neue Führungskräfte hervor. Alte und neue Kulturen kommen in Konflikt. Jene Kräfte, welche die Krise meistern führen eine neue Kultur ein, die sich mit neuen Ritualen und Symbolen entfaltet, - bis zur nächsten Krise.

Da die Kultur in Unternehmen gravierenden Einfluss hat, drängt sich die Frage auf, wie auf sie Einfluss genommen werden kann. „Kulturingenieure“ gehen davon aus, dass man Kulturen systematisch aufbauen und dementsprechend auch planmäßig verändern kann. Die „Kulturrealisten“ lehnen diese Sichtweise vollkommen ab. Sie betrachten die Unternehmenskultur als historisch gewachsene Lebenswelt, die sich jedem gezielten Herstellungsprozess entzieht. Sie waren vor einem „symbolischen Mangement“ als manipulatives Kommunikationsmittel, welches das Tor zum Mißbrauch weit öffnet. Einer dritten Position wird von Schreyögg der Vorzug gegeben, die sich mit dem Stichwort „Kurskorrektur“ umschreiben lässt. „Nach dem Menschen grundsätzlich in der Lage sind, sich ihre eigenen Normen und Orientierungsmuster bewußt zu machen, über sie nachzudenken und sie gegebenenfalls gegen andere einzutauschen, sind auch Unternehmenskulturen im Prinzip einem willentlichen Wandel zugänglich.“

Er gliedert die „Kurskorrektur“ in drei Schritte:

  • Diagnose
    Hier geht es um die Beschreibung und Bewusstmachung der bestehenden Kultur.
  • Beurteilung
    In der Beurteilung wird abgeklärt, wo die bestehende Kultur änderungsbedürftig ist. Diese Phase des Prozesses ist oft mit schweren Konflikten verbunden.
  • Maßnahme
    Nach der Reflexion können Anstöße für eine „Kurskorrektur“ gegeben werden. Es genügt nicht, neue Leitbilder zu formulieren, denn sie geben kaum einen Leitfaden zu einer Neuorientierung. Schreyögg empfiehlt das schlichte Andershandeln, das „faktische Durchbrechen von Routinen, die ostentative Beendigung eines blutleeren Rituals.“

Kulturveränderungen können nicht (von Betriebsberatern) verordnet oder auch nicht (von Führungskräften) angeordnert werden. Die Organisation muss, aus welchen Grund auch immer (in der Regel steckt eine Krisensituation dahinter), bereit und motiviert sein, etwas Neues auszuprobieren.

Kulturentwicklung im Sinne von Neuorientierung bedeutet immer Zerstörung und Entwicklung zugleich (Trice/Beyer 1993). Das sollte jedem Unternehmensberater und jedem Supervisor bewusst sein. Der Zerstörungsprozess löst Angst mit allen seinen Konsequenzen aus (Wut, Verzweiflung, ...). Dem muss Behutsamkeit und Achtsamkeit auf die Integrität der Betroffenen entgegengesetzt werden. Mit radikalen Methoden lässt sich kaum ein Kulturwandel erzwingen.