Kontrolltheorie

Quelle: Flammer A., Erfahrungen der eigenen Wirksamkeit, 1990

Es ist wohl jedem nachvollziehbar, dass Menschen, die umfassende Kontrolle über ihre Lebensgestaltung haben, bei denen häufig der sogenannte "locus of control" liegt, die also gestaltend wirken können, eine höhere Lebenszufriedenheit haben, als jene Menschen, die sich vor allem ausgeliefert sind und selbst wenig Einfluss auf ihre Lebensumstände haben.

Die Forschungen zur Kontrolltheorie haben dazu herausgefunden, dass für das eigene Wahrnehmen weniger die objektiven Umständen ausschlaggebend sind, als die Meinung der Betroffenen, welchen Einfluss sie darauf haben. Zentraler Fokus der Kontrolltheorie wurde somit die Kontrollmeinung.

Kontrolle ist im menschlichen Leben mindestens in zwei Formen existentiell, nämlich als aktives Kontrollieren und als Wissen, dass man über bestimmte Zielbereiche Kontrolle hat. Das erste dient dem aktiven Zielerreichen, das zweite ist Bestandteil des Selbstbildes und dient dem eigenen Selbstwert. Wenn ungenügend Kontrolle zu einem Ausgeliefertsein führt und Hoffnungslosigkeit generiert, kann sie Basis für Depression sein. Der Zusammenhang zwischen negativer Kontrollmeinung und Depression konnte eindeutig bestätigt werden.

Menschen mit hoher Kontrollmeinung fühlen sich im allgemeinen wohler, als Menschen mit geringer Kontrollmeinung, insbesonders, wenn die Kontrolle wichtige Lebensbereiche betrifft und diese stark von der eigenen Person abhängen.

Menschen mit geringer Kontrollmeinung forden viel von sich selbst und fühlen sich an der Grenze des noch persönlich Leistbaren und sind oft überfordert. Menschen mit hoher Kontrollmeinung (Hardy-Typen) neigen dazu, hohe Belastungen unbeschadet zu überstehen, weil sie gegenüber ihren Anforderungen eine positive Einstellung haben, in ihrer Arbeit einen persönlichen Sinn finden, klare Ziele haben und schließlich überzeugt sind, ihre Aufgabe zu meistern.

Untersuchungen im medizinischen Bereich haben gezeigt, dass Menschen mit hoher Kontrollmeinung auch schneller genesen, als jene mit externalem "locus of control".

Menschen haben ein angeborenes Kontrollgrundbedürfnis das sich in vielerlei Kontrollbedürfnissen zeigt, die auf bestimmte Ziel und Inhalte gerichtet sind. Menschen setzen sich zur Wehr, wenn sich in ihrer Freiheit, ein Ziel zu erreichen, eingeschränkt werden. Das nennt man Reaktanz. Bei anhaltender Kontrollbehinderung kann das zu Hilflosigkeit führen.

Menschen gehen mit Zufallesereignissen (z.B. Lotterieziehungen) oft so um, als wenn sie darauf Einfluss hätten. Viele esoterische Botschaften generieren darauf aufbauend Hoffnung. Man nennt das "illusorische Kontrolle". Solche Illusionen können tragisch werden, wenn Menschen "im Glauben an eine gerechte Welt" für unschuldig erlittene Unfälle, Krankheiten, Vergewaltigungen uws. Schuld auf sich nehmen. Sie tun es vielleicht deshalb, weil sie dann für die weitere Zukunft eine illusionäre Kontrollmeinung aufrecht erhalten können.

Flammer vertritt die Auffassung, dass die kulturspezifischen Ausprägungen der Kontrollbedürfnisse zum Verdacht berechtigen, dass das Menschenbild der westlichen Zivilisation ein Menschenbild der "Macher" ist. Das ist aber nur durch die konkreten Kontrollbedürfnisse bedingt, nicht durch das Kontrollgrundbedürfnis an sich.

Wenn man eine Situation oder Umstände nicht ausreichende kontrollieren kann, findet eine Kontrollanpassung statt, in dem man seine Ansprüche soweit ändert, das die Verhältnisse wieder stimmen. Die Anpassungsleistung wird sekundäre Kontrolle genannt.

Primäre Kontrolle ist verwandt mit der Assimilation, zielt aber im Gegensatz dazu auf reale Veränderungen. Sekundäre Kontrolle ist verwandt mit Akkommodation, tritt aber als Alternative zur primären Kontrolle auf, während Akkommodation potentiell mit jeder Assimilation auftritt.

Die wichtigest Quelle für den Aufbau und die Veränderung von Kontrollmeinung ist die persönliche Erfahrung. Die Wahrnehmung von Ereignissen wird stark durch Vorwissen und Vorerfahrungen geprägt. Dieser Zusammenhang ist umso deutlicher, je wichtiger die betreffenden Handlungsbereiche sind.

Menschen lieben den Erfolg, ziehen interessanter Weise aber oft risikobelastete Herausforderungen der Erfolgssicherheit vor, wenn diese für ihr Selbstbild aussagekräftiger sind.

Die vielen Aspekte der Kontrollmeinung sind für jedes Supervisionssetting relevant. Sie geben Hinweise in der Analyse einerseits und sind hilfreiches Instrumentarium für die Interventionsstrategien der Supervision selbst und für die Supervisanden im Feld der sozialen Arbeit.